Als braver und ordentlicher Mitbewohner bin ich am Samstag schon um acht Uhr aufgestanden, habe Wäsche gewaschen, mein Zimmer geputzt, aufgeräumt und Honigtoast gegessen. Dazu möchte ich anmerken, dass:
- Ich tatsächlich fast acht Wochen lang nicht ein einziges Stück Brot gegessen habe und einen regelrechten Heißhunger darauf entwickelt habe, weswegen ich die nächste Bäckerei gestürmt habe und die aber nur labberiges Toast hatten – aber besser als gar nichts…
- Honig hier ziemlich schwer zu finden ist
- Honig hier lächerlich teuer ist
- In meiner Wohnung in der Küche zwar die geilsten großen Messer (zum Schneiden von rohem Fisch) überhaupt vorhanden sind, aber kein einziges Brotmesser…
Naja, jedenfalls bin ich dann mittags mit Viktor nach Shinjuku zu Yodobashi Kamera gefahren, einem riesigen, verrückten, vollgestopften, etwa mit “Media Markt auf Speed, Klebstoff und Ahoy Brause” vergleichbarem Laden, um für ihn ein Handy aufzutreiben. Nachdem wir uns in Rekordzeit – etwa eineinhalb Stunden – über die etwa vier Milliarden Tarife, Optionen und andere Nebensächlichkeiten schlau gemacht haben, ohne auch nur ansatzweise etwas davon zu verstehen, hat er tatsächlich eine sogar sehr gut Englisch sprechende Verkäuferin geangelt, die dann mit ihm in der absoluten Spitzenzeit von nur zwei Stunden einen Vertrag, ein Handy und eine SIM Karte klargemacht hat. Diese Spitzenzeit ist übrigens nicht ironisch gemeint! Bei meinem Handy hat das deutlich länger gedauert und ich hatte keinen des Englischen mächtigen Verkäufer…
Jedenfalls war Viktor glücklich, ich um mindestens drei Wochen gealtert an nur einem Nachmittag und das Wetter erstaunlich unbeständig: Sonne, knalleheiß, auf einmal Regen und Sturm, wieder Sonne… Da ich schon ungefähr wusste, wie sich der Abend entwickeln würde, bin ich dann erst einmal wieder nach Hause gefahren und habe mich ausgeruht.
20:00 Uhr: Farewell-Party von Rob, einem guten Freund von meinem Mitbewohner Vinay. Angefangen hat die Nacht also in einer zwei-Stunden-Bar irgendwo in Ebisu, die wir dann definitv länger als die bezahlten zwei Stunden belegt haben.
22:30 Uhr: Als wir dann aber doch da rausgeflogen sind, sind wir eben in’s “Hub” gegangen – das ist eine English Pub Kette, die hier in Tokyo sehr beliebt ist. Dort war unser Trupp von immer noch knapp 15 Leuten zuerst sehr im Weg, da das Pub eigentlich auch ohne uns schon voll war, aber wen stört das schon? 😉
ca. 02:00 Uhr: Da die letzten Züge schon längst weg waren und sich unser Party Trupp doch so langsam aber sicher vereinzelt verdünnisiert hat, bin ich zusammen mit Yarif und Vinay von Ebisu nach Shibuya spaziert. Auf dieser Wanderung haben wir absichtlich Gaijin-Power eingesetzt und schön laut geredet, was die braven Mitarbeiter vom Club Air, an dem wir vorbeigekommen sind, an den Rande des Harakiri gebracht haben dürfte. Besagter Club ist nämlich mitten in einem Wohngebiet und dennoch gleichzeitig einer der angesagtesten Clubs der Stadt. Dass die Anwohner regelmässig wegen Ruhestörung klagen und die Clubbetreiber irgendwie reagieren mussten, dürfte klar sein. Darum stehen in dem ganzen Wohngebiet am Wochenende Typen rum, die alle Spaziergänger, die zu laut reden, anlabern, dass sie, wenn sie zum Club Air gehen oder von da kommen, doch bitte leise reden sollen, um die Anwohner nicht zu stören. Meine beiden Kameraden haben dann nur unwirsch und ziemlich laut gesagt, dass wir nicht in den Club gehen und er uns in Ruhe lassen soll 😉
02:30 Uhr: Ankunft in Shibuya. Kurzentschlossen sind wir in eines der Hochhäuser – irgendein Hotel – direkt neben der bekannten riesen-Kreuzung von Shibuya gegangen, das gespenstisch menschenleer war und sind in den zwanzigsten Stock gefahren, wo wir uns dann auf die Fensterbank gehockt, geratscht und die nächtliche Skyline angeschaut haben. Leider hat uns nach etwa einer halben Stunde ein Mensch von der Security gefunden und uns in gebrochenem Englisch gebeten, doch bitte wieder zu gehen. Da wir aber die Aussicht genießen wollten, wollten wir mit dem verglasten Fahrstuhl wieder runterfahren und der Typ hat ohne eine Miene zu verziehen drei andere Aufzüge wieder weggeschickt, bis endlich der gewünschte da war… Und da soll noch mal einer sagen, dass Service in der heutigen Zeit nicht mehr groß geschrieben wird!
03:00 Uhr: Hunger! Als wir das Hotel auf dem absolut nicht dafür gedachten Weg – ein Lieferantenausgang irgendwo auf das Parkdeck – verlassen und uns irgendwo halb verlaufen haben, sind wir dann halb verhungert in ein Sushirestaurant gestürmt. Verrückt, ich dachte immer, dass der Titel “a city that never sleeps” zu New York gehört. Bullshit! New York hat ihn gar nicht verdient: 😀 Dieses Restaurant war – um wohlgemerkt kurz vor halb vier – bis auf den letzten Platz voll mit Leuten! Für den geradezu winzigen Preis von etwa 1200 Yen (nicht mal 8 Euro) habe ich so unglaublich viel Sushi gegessen, weil es einfach verboten gut war. Zusätzlich habe ich noch ein paar exotische Dinge wie Anko-Karaage (Anglerfisch-nuggets, ganz recht: dieser hässliche Tiefseefisch mit der leuchtenden Köderangel vor seinem Maul), Oktopus-Nigiri, die gebratene Wirbelsäule eines Aals und vielerlei andere für den Europäer sehr widerlich klingende – aber tatsächlich sehr leckere – Dinge gegessen.
05:00 Uhr: Noch ‘ne Bar. Und was für eine! Etwa 12 Quadratmeter groß, mit rotem Samt ausgekleidet und mit etwas mehr als 4 Hirschgeweihen, 38 Lampen und 2 Kronleuchtern bestückt und natürlich mit mehr Leuten vollgestopft, als man in ein durchschnittliches Mittelstrecken-Flugzeug hineinbekommt…
06:00 Uhr: Shibuya Bahnhof. Vinay und ich sitzen völlig zerstört auf dem Bahnsteig, warten auf die Yamanote, die uns nach Hause tragen soll und singen zur allgemeinen Belustigung schön laut “New York, New York” im Duett. Allgemeine Belustigung ist auch hier wörtlich zu verstehen, da um die Zeit schon wieder hunderte von Menschen auf dem Bahnsteig sind – aber irgendwie waren Vinay und ich noch die normalsten davon?!
06:30 Uhr: Endlich mein Bett Futon! Mit immer noch böse überfressenem Magen, kaputter Stimme und sehr, sehr lustigen Erinnerungen falle ich in einen komatösen Schlaf. Und dabei wollte ich eigentlich um 09:00 Uhr aufstehen…